Was treibt einen dazu, 24 Stunden lang wandern zu gehen? Einen Tag und eine Nacht lang immer bergauf und bergab laufen, um schließlich 80 Kilometer hinter sich zu legen? Schafft man das überhaupt? Will man das denn überhaupt? Wir wollten es herausfinden: Das 24-Stunden-Wanderlust-Event von Columbia hat uns gelockt und wir haben unsere Grenzen getestet.
Rauf und runter geht es beim 24 Stunden Wandern, nicht nur auf der Strecke, sondern auch mit den Schmerzen und der Laune. Und trotzdem haben sich rund 200 Wanderer mit uns entschieden, die Tag-und-Nacht-Tour in Angriff zu nehmen. Die Achensee-Region ist bekannt für ihre verschiedenen Wanderstrecken und Tourmöglichkeiten – liegen doch imposante Berge wie der Guffert, das Sonnjoch oder der Hochunnutz nur ein paar Höhenmeter entfernt. Beim 24-Stunden-Wandern umrundet man diese Berge eher, als dass man sie besteigt, und doch hat man immer wieder einen fabelhaften Ausblick auf die Gebirge Karwendel, Rofan und die Brandenberger Alpen.
So sind zu Beginn der Tour viele Wanderer noch guten Mutes und freuen sich auf das, was vor ihnen liegt: Rund 80 Kilometer Wegstrecke und 1500 Höhenmeter. Start und Endpunkt ist Mehrzweckhalle in Achenkirch, dort kommt man auch immer wieder während der Tour vorbei, um sich auszuruhen, Motivation und Massage abzuholen oder Abendessen und Frühstück zu sich zu nehmen. Die Tour ist unterschiedlich getaktet, sie teilt sich in drei Routen à 32, 25 und 16 Kilometer auf, jede Strecke kann nur zu bestimmten Zeiten begangen werden.
Der erste Teil: Zur Guffert-Hütte
Punkt 12 Uhr starten wir also mit allen anderen Wanderlustigen in die erste Runde, die sich größtenteils am Guffert entlang schlängelt und so immer wieder schöne Blicke auf den markanten, grauen Bergriesen möglich macht. Nach kurzen Einführungen und einem (von uns eher belächeltem) Warm-Up geht es – ausgestattet mit Wanderfibel, Magnesium und Regenausrüstung – auf breiten Kieswegen über den Panorama- und Alten Steinbergweg entlang weiter zum Geologielehrpfad und der ersten Labestation (österr. für Versorgungsstation) auf 1300 Meter. Motivierte wie wir nehmen nach den 11 Kilometern noch die Extraschleife in Kauf, die zu Etruskischen Inschriften und zur Gufferthütte führt. Der kleine, spannendere Steig über Bergwiesen und Felstritte muss nicht unbedingt gemacht werden. Auf der Hütte erklären wir überraschten Gästen, warum heute so viele Wanderer vorbeikommen. „24 Stunden Wandern, sowas gibts? Ich würd das ja nicht machen“, meint einer der Hüttengäste. Verständlich, wenn man sich unseren Streckenplan so ansieht. Wir haben gerade einmal ein Fünftel geschafft.
Dank Sonnenschein und stabilem Wetter zieht es uns aber weiter an Bächen und Bergpanoramen vorbei (der Guffert hat es uns angetan) bis zur nächsten Labestation. Die Gruppe hat sich geteilt, denn jeder geht sein eigenes Tempo. Nach etwa 25 Kilometern melden sich aber dann die ersten Ermüdungserscheinungen: Die Sohlen brennen, die Wege gehen schon wieder rauf anstatt runter und auch die Sonne brennt weiter in den Nacken. Man hört den eigenen Rucksack quietschen und den Bach plätschern, alles in seinem Rhythmus, wie die eigenen Schritte. Die Strecke beginnt sich zu ziehen, alles wird gleich.
Kaum hat man sich mit den monotonen Geräuschen abgefunden, beginnt uns ein Grummeln zu beunruhigen: Die angemeldete Gewitterfront kommt näher. Wir versuchen, uns zu beeilen, was bei wundern Füßen nicht ganz so einfach ist. So holt uns der Regen ein, bevor wir das erste Etappenziel erreichen können. Die Hagelkörner werden größer als Smarties und wir stellen uns unter ein Dach. Das einzige, was bleibt, ist unsere gute Laune, die selbst von pfützenspritzenden Autos nicht umschlägt… Der einzige negative Gedanke: ‘Ich weiß ja nicht, ob ich Runde zwei noch machen will’.
Im „Auffanglager“ angekommen, es ist etwa 19.30 Uhr, gibt es erst mal verschiedene Versorgungseinheiten: Den Hunger mit warmen Nudeln stillen, die Blasen mit Pflaster bekleben und die Stimmung mit schlechten Witzen versorgen. Denn draußen stürmt es wieder, wir zögern und zweifeln, ob es noch mal losgehen soll. Immer mehr nasse Wanderer treffen ein, die meisten nicht mit der besten Laune, viele trocknen sich ab und legen sich nach dem Essen erst Mal hin oder lassen sich vom bestellten Massagedienst durchkneten. Eine Nachtrunde kommt für sie nicht mehr in Frage. Sie haben genug. Andere gehen schon wieder los, trotzen dem Regen, es gibt ja nur schlechte Kleidung, kein schlechtes Wetter. Auch uns kitzelt es wieder in den Füßen. Warum wir hier sind? Wir wollen wandern. Es hilft ja nichts, die Nachtwanderung war eigentlich unser Hauptgrund, also rein in die Stiefel (das zwickt und drückt) und in die Regenjacke. 22 Uhr, weiter geht es also mit Runde 2.
Der zweite Teil: Um den Unnutz
30 Starter versuchen sich an der Nachtetappe, die mit 25 Kilometern wieder recht strapaziös klingt. Mit Stirnlampen, die uns wie Höhlenforscher aussehen lassen, geht es in der tiefblauen Nacht wieder auf den Panoramaweg, diesmal in die andere Richtung. Panoramaähnlich sind dabei die nächtlichen Lichter, die sich im Achensee spiegeln. Und die Sterne, die zum Glück herauskommen und das Gewitter in den Hintergrund ziehen lassen. Ein schöner Blick und ein sehr ungewohntes Gefühl, auf richtigen Wanderwegen durch die Nacht zu gehen. Die Gespräche bleiben auch nachts sehr aufgeweckt, dabei entdecken wir immer wieder kleine und große Kröten und Schmetterlinge, die in der Nacht wohl nicht mit beleuchteten Wanderern gerechnet haben.
Erst auf Schotterwegen, dann auf einem Steig (in der Nacht übrigens sehr spannend) geht es wieder rauf, auf 1450 Meter, zu ersten Labestation, die uns mit Schnaps für die trägen Geister und Lehnsessel für die müden Füße versorgt. Die ersten steigen aus und lassen sich mit dem Shuttleservice runterfahren, sie wollen es morgen wieder probieren. Wir versuchen noch eine Etappe, sind aber schon etwas lädiert und nicht mehr ganz so motiviert.
Vorbei an Kühen, die mit von unseren Lampen beleuchteten Augen etwas unheimlich wirken und durch den Wald geht es – wie nicht anders zu erwarten – wieder mal runter. Einsam wandern wir die Strecke entlang, es ist schon einzigartig, die Wege in der Nacht zu gehen, bei Sternenhimmel, fernem Wetterleuchten und milden Temperaturen. Aber: Der sich verbreiternde Kiesweg, der immer wieder steil talwärts Richtung Steinberg führt, lässt uns langsamer werden. Um 2 Uhr nachts beginnt dann auch der Kopf müde zu werden, die Sohlen brennen immer mehr, das Gewicht des Rucksacks drückt und die Unterhaltungen beschränken sich auf „Trinkpause“, „Verdammt, das tut weh“ oder „Wie spät ist es?“. Die Wanderung zehrt an unseren Nerven. Wir wissen, dass wir die zweite Runde nicht ganz schaffen werden. An der zweiten Labestation ist es entschieden: Wir geben auf und bewundern die noch fitten Wanderer, die einfach so weitergehen, als sei nichts gewesen. 14 km bis um 2.30 Uhr nachts – wir sind stolz, dass wir es so weit geschafft haben. Als wir dann noch hören, dass ein großer Teil der Reststrecke über die Landstraße führt, sind wir froh, dass wir die nur mit dem Auto entlangfahren müssen.
Der dritte Teil: Zum Annakirchl – oder auch nicht…
Das Ausruhen auf der Matte in der Halle hilft, auch wenn an schlafen nicht zu denken ist. Als um 5 Uhr bereits die ersten Wanderer ankommen, kurz frühstücken und zur nächsten Etappe aufbrechen, spüren wir alle Glieder und entscheiden uns gegen einen weiteren Versuch. Es reicht uns.
Wir haben 50 Kilometer hinter uns gebracht, mehr als die Hälfte, und wir haben erfahren, wie es ist, das an einem Tag zu machen: Anstrengend, schmerzhaft, aber trotzdem richtig schön. Wie das geht? Es muss an der Dauerbewegung liegen, die den Kopf von negativen Dingen befreit und einen einfach nur noch gehen lässt. Trotz Anstrengung fühlt man sich gut. Der Kopf wäre übrigens gerne noch weiter rauf und wieder runter gegangen. Aber die Füße wollten nicht mehr. Und ich glaube, das war auch gut so.
Fazit
Was von so einer 24-Stunden-Wanderung bleibt? Gute Laune, viele Witze, Stolzsein und Ehrgeiz, Müdigkeit und Muskelkater. Und das gute Gefühl, mal wieder weiter gekommen zu sein – 50 Kilometer näher an seine Grenzen.
Uns gilt es, Danke zu sagen an das Organisations-Team von Columbia und dem Achensee Tourismus-Team, die alle die Tour sehr gut organisiert haben. Für Essen und Trinken war immer gesorgt, der Shuttle-Service funktionierte und man hatte nie die Sorge, irgendwo stecken zu bleiben. Und selbst wenn sich jemand verläuft (wirklich passiert), waren die Bergretter zur Stelle, um den Verirrten am vorigen Punkt wieder abzusetzen und ihn in die richtige Richtung zu schicken.
Und noch was Positives: All die Mitwanderer, hilfsbereit, kollegial und gerne für ein Gespräch zu haben. Denn, egal wie viel man schafft, man hat eines gemeinsam: Man ist dabei und genießt halt einfach das Wandern.
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