Wer es gerne etwas ruhiger mag – zumindest was die Bergtouren betrifft – ist im Ahrntal gut aufgehoben. Das kleine Tal in Südtirol nördlich des Pustertals besticht durch seine Unbekanntheit – zumindest im Frühling und Frühsommer. Im Winter bieten die beiden Skigebiete Speikboden und Klausberg den Wintersportlern Abwechslung. Aber auch über das restliche Jahr hinweg zeichnet sich das Tal durch Outdoor-Aktivitäten und Bergtouren in den unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden aus.
Die Straße von Bruneck ins Ahrntal wird schnell enger und steiler, links und rechts vom Busfenster aus sieht man saftig grüne Bergwiesen, darauf Almen und kleine Hütten. Und darüber die Berge – über 80 Dreitausender sollen es sein. Selbst die Skigebiete sind nicht so zerhackt und brach wie man es sonst im Sommer kennt, sondern mit grünen Wiesen bedeckt. Die Ahr schlängelt rechts am Busfenster vorbei, alles wirkt sehr idyllisch. Die Straße, auf der wir fahren, ist die einzige Hauptverkehrsader, sie wird aber dafür alle 30 Minuten von den öffentlichen Bussen befahren. Also die perfekte Anbindung für alle, die gerne aufs Auto verzichten. In St. Johann steige ich aus, denn dort verbringe ich das Wochenende im Hotel Steinpent, einer der „Stützpunkte“ der WEM Aktivtours im Ahrntal. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es im Ahrntal zuhauf – von Hütte über Aktiv- und Familienhotels zu Pensionen.
Das Hotel wirkt traditionell und modern, eingerichtet mit viel Liebe fürs Detail und ohne große Extras. Begrüßt werde ich von Markus, er ist einer der Mit-Gründer von WEM Aktivtours und der Besitzer des Hotels Steinpent. WEM, das steht für Walter, Eduard und Markus, die drei Köpfe, die vor 20 Jahren die Idee hatten, den Tourismus ins Ahrntal zu bringen. Viele der Einwohner haben den Kopf geschüttelt, „drei Männer im Tourismus, das hat uns keiner geglaubt“, erzählt Walter. Heute ist daraus ein großes Projekt geworden – im Winter für die vielen Schulklassen, die zum Skifahren ins Ahrntal kommen und im Sommer für diejenigen, die ein aktives Schullandheim erleben wollen. WEM stellt gemeinsam mit einigen Partnern ein Programm auf die Beine, um den Schülern eine besondere Auszeit zu bieten. Die Schulen können aber auch nur die Unterkünfte nutzen und ihr eigenes Programm zusammenstellen.
Meine Füße sind kalt. Eiskalt.
Diesmal ist das Wasser Schuld. Ich bin beim Rafting – es ist bewölkt, aber wir haben Glück, es regnet nicht. Das wäre aber wohl auch egal. Wir stecken alle in der gleichen schwarzen Neoprenhaut und fühlen uns in ihr mehr oder minder wohl. Wir wollen eigentlich nicht in das kalte Wasser reinfallen. Dass wir in ein paar Minuten freiwillig reinspringen, glaubt keiner so recht.
Jetzt weiß ich, was es heißt, „es läuft einem kalt den Rücken hinunter“…
Die Befehle, die wir von den Bootsführern am Anfang lernen, sind leicht zu merken: „Alle ins Boot, rechts paddeln, links paddeln“ – das sollte klappen. Schon kurz nach dem Einstieg sollen wir nach einer „alten Tradition, die einem ein Jahr Glück bringt“, so der Bootsführer, unseren behelmten Kopf ins Wasser halten. Jetzt weiß ich, was es heißt, „es läuft einem kalt den Rücken hinunter“, das passiert nämlich, wenn man den Kopf wieder rausholt. Ein eiskalter Rinnsal läuft mir am Nacken in den Neoprenanzug hinein.
Aber: Man gewöhnt sich zum Glück auch daran. Und ja, es macht wirklich Spaß. Die kleinen Stromschnellen überwinden wir ganz gut, kurz halten wir an und stapfen aus dem Wasser, um einen Wasserfall zu begehen. Dort erhält man eine ganz andere Perspektive, da man selbst im Wasser und dem ganzen etwas näher kommt. Danach kommt auch schon der kleine, freiwillige Sprung ins kalte Wasser. Freiwillig! Der Atem stockt. Aber es fühlt sich gut an. Im zweiten Teil der Raftingstrecke gibt es dann noch etwas Action, wir springen einige Meter von einer Rampe mit dem Boot herunter. Ein tolles Gefühl. Und schon ist es vorbei mit der Kälte. Mit der Tour aber leider auch.
Die individuellen Aktiv-Touristen kommen im Ahrntal nicht zu kurz: Fürs Rafting kann man sich zum Beispiel bei „Aktiv Ahrntal“ anmelden – wenn man mal nicht auf den Berg sondern auf den Fluss will. Neben Rafting bieten die Aktiven auch noch Canyoning, Kajak oder Hydrospeed an, also alles was mit Action im Wasser zu tun hat. Neben Flusserkundungen können Familien oder aber auch individuelle Geschichtsbegeisterte die verschiedenen Museen nutzen (zum Beispiel das Mineralienmuseum mit einer Vielzahl an besonderen Steinen der Gegend oder das Schaubergwerk Prettau) oder aber Klettergärten und Wasserfälle besichtigen. Neben den vielen Talaktivitäten sind es aber vor allem die hohen Berge, die das Tal reisenswert machen.
Bergtour. Endlich.
Bei unserem kurzem Bergausflug am nächsten Tag geht es auf die Keglgasslalm auf 2.109 Meter. Es liegt noch Schnee oben, aber zu Beginn unserer Tour scheint die Sonne. Wir sind zuversichtlich.
Los geht es beim Parkplatz Stallila auf 1.472 Meter. Man könnte auch ganz unten anfangen, aber dafür reicht die Zeit heute nicht. Der Weg führt über den Putzweg durch den Wald. Markus erklärt uns, dass der Weg erst letztes Jahr neugebaut wurde. In mir wächst die Bewunderung, klar, Wege müssen von jemandem gemacht werden, aber wenn er noch so frisch ist und man noch gut sehen kann, was derjenige geleistet hat, ist es etwas besonderes, den Weg so früh nach der Errichtung zu gehen. Immer wieder kann man vom Wald aus auf das Tal blicken, eine schöne Aussicht – für mich sind die Blicke in enge Täler immer wieder faszinierend. Nach der Abzweigung bei Oberhütten (1.859m) müssen wir ein Schneefeld queren, und auch von oben kommen immer wieder ein paar Flocken herab.
Mit unseren Zinnstäben (eine alte Tradition aus Südtirol, die wieder belebt werden soll) kommen wir ganz gut durchs Feld und erreichen die Keglgasslalm. Dort erwartet uns eine sehr urige kleine Hütte, die für ein paar Wanderer auch eine Übernachtungsmöglichkeit bietet. Im Gastraum stehen vier Tische, an einem sitzen ein paar ältere Leute und spielen Karten. An den anderen sitzen wir und genießen die von der Hüttenwirtin hausgemachten Knödel.
Und es geht uns hier wie schon den ganzen Weg entlang: Man trifft fast niemanden und man fühlt sich einfach sofort wohl, gerade weil so wenig los ist und sich alles noch so urig anfühlt.
Zum Schluss zeigt uns der Hüttenwirt noch seine selbst errichtete Kapelle, ein Jahr hat er gebraucht, sie zu bauen, ein paar Kleinigkeiten fehlen noch. Sie ist Teil des Franziskuswegs, der sich hier im Ahrntal immer wieder entlang schlängelt. Dann geht es zurück über einige kleinere Wasserstellen und an schönen Bauernhütten vorbei hinab ins Tal. Mir hat die kurze Tour sofort Lust gemacht: wiederzukommen und die Berge dort zu erwandern.
Das Ahrntal bietet zahlreiche Wanderwege.
Unter anderem werden sie in die „Ahrntaler Sonnenwege“ unterteilt, auf denen man knapp die 3.000er Marke erreicht. (Der kleine Sonnenweg verbindet die Ortschaften zwischen 1.000 und 1.335 Metern.) Aber auch die zahlreichen Wanderwege im Naturpark Rieserferner-Ahrn, angrenzend an die Hohen Tauern, machen die Auswahl für ein kurzes Wander-Wochenende schwer.
Der Plan sei es, den Höhenweg entlang des Gebirges zu komplettieren, um so die ganze Kette über- und durchqueren zu können. Bis dahin aber kann man auch von unten oder von anderen Seiten das Ahrntal erkunden. Wege gibt es genug, Schutz- und Verpflegungshütten auch. Und das beste: Das Gebiet ist nicht so überlaufen wie das Nachbartal. Sucht man Ruhe, findet man sie hier. Jedenfalls meistens. Denn sicher wird man immer wieder Einheimischen über den Weg laufen, die hier das Gleiche suchen wie der Bergtourist: Ruhe und Weite. Der Abstieg ist dabei eigentlich auf jeder Route möglich – erwischt einen also das schlechte Wetter, ist das Abbrechen der Tour gut machbar. Auch die Schwierigkeitsgrade unterteilen sich in recht einfache Wege bis zu den 2.000er Grenzen, die gut erreichbar sind. Für die höher gelegenen Stellen braucht man sicher etwas mehr Ausdauer, doch die Aussicht und die Naturerfahrung lohnt jede Anstrengung. Klassische Hüttenwanderungen als auch Tagestouren oder kleine Familienwanderungen sind hier gut möglich.
Mir pocht das Herz. Es schlägt laut, lauter als der vorbeifliegende Hubschrauber.
Denke ich. Natürlich höre nur ich das Klopfen. Eigentlich weiß ich: Es ist nicht schlimm – ich seile mich nur ab und es sind nur 40 Meter. Für jeden Kletterer überhaupt kein Problem. Aber: Ich bin kein Kletterer und ich muss aus einem Fenster steigen – aus einem Burgfenster. Ich schau nochmal nach oben. Mir ist mulmig. Das ist schon hoch. Walter seilt sich einfach so ab. Ich zögere. Höhenangst habe ich keine, aber Angst, mich auf die Technik zu verlassen. Ich will es aber trotzdem wissen. Vor allem, als ich höre, wie viele Schulgruppen das schon gemacht haben. Also, Gurt anschnallen, Helm aufsetzen und auf den Burgturm rauf. Und schon wird mir das Seil um die Hüfte gebunden. „Setz dich an die erste Stufe, dann an die nächste“, höre ich Günther sagen, der solche Aktionen wie diese mit „Kreaktiv“ organisiert. Ich folge seinen Befehlen. „Jetzt das erste Bein“, und dann kommt zögerlich das andere. Tja. Wenn es nur so einfach wäre. Ich sitze bestimmt eine Minute, gefühlt waren es fünf. „Eins fehlt noch: lächeln“, höre ich Günther fast schon von fern. Und dann stemm ich das zweite Bein wirklich raus. Ich „gehe“ einfach los. Und tatsächlich, es ist nicht schlimm, trotzdem gibt es eine große Portion Adrenalin.
Ich genieße das Abseilen. Aber es dauert gar nicht lange genug, um es zu realisieren. Die andern klatschen. Ich freu mich.
Kreaktiv – das sind Wilfried und Günther. Sie fahren gern Mountainbike, gehen Canyoning, bauen Seilbrücken, schlafen im Iglu, führen Hochtouren an und besteigen Gletscher, also alles was das aktive Outdoor-Herz begehrt. Einiges klingt wie ein erzwungenes Touri-Programm, wenn man aber näher liest, sind es meist intelligente Lösungen, um Zeit gemeinsam draußen zu verbringen. Und natürlich auch, um Geld zu verdienen.
Auch für Schulgruppen gibt es einige speziell zusammengestellte Programme. Natürlich erzielen gerade solche Programmpunkte wie das Abseilen vom Burgfenster die Aufmerksamkeit. Ziel ist aber auch, das Gruppengefühl wieder neu kennen zu lernen und beispielsweise auch bei Firmengruppen den Teamgeist zu stärken. In einer Kulisse wie dem Ahrntal sicher auch eine gute Gelegenheit, seine Grenzen zu testen. Wenn man das denn unbedingt will.
Trotz all der Programmpunkte ist der Tourismus im Ahrntal bisher recht sanft angekommen.
Das soll, so die Organisatoren, auch weiterhin so bleiben. Den Bewohnern dort, aber auch den Menschen, die dorthin zu Besuch kommen, ist es zu wünschen. Denn sollte es mal anders werden, kann man wohl das kleine Stück Heimat auch dort nicht mehr so leicht finden. Bis jetzt unternehmen die einheimischen Tourismusanhänger aber noch viel dafür, gerade das Schöne und Einzigartige im Ahrntal zu erhalten. „Denn wenn es uns im Ahrntal gut geht, dann geht es auch den Leuten gut, die zu uns kommen“, erklärt Markus. Ja, ich finde er hat recht. So herzlich, wie die Menschen dort sind, so wohl fühle ich mich das ganze Wochenende über. Man merkt: Die Ahrntaler sind zufrieden. Noch sind sie am Boden geblieben. Und sie freuen sich über Besucher, die das zu schätzen wissen.
Links:
www.ahrntal.com
www.tauferer.ahrntal.com
www.aktiv-wem-tours.com
www.rafting-club-activ.com
www.kreaktiv.it
Karte:
Kompass-Karte
Tauferer Ahrntal – Valle di Tures e Aurina (Band 82) *
DAV-Karte Blatt 35: Ahrntal – Rieserfernergruppe
Buch:
Rother Wanderführer: Tauferer Ahrntal *
Die schönsten Wanderungen im Ahrntal (Verlag Athesia) *
Unterkunft:
Aktiv-Hotel Steinpent in St. Johann
Hotel Talblick in St. Jakob
Oberkofl Hof (Urlaub auf dem Bauernhof) in St. Jakob
Berghütten und Almen:
Auf der Website des Tauferer Ahrntals: www.tauferer.ahrntal.com
* Affiliate-Link
Wir wurden von Aktiv WEM Tours zum Wochenende im Ahrntal eingeladen. Für die Leistungen wurde ein reduzierter Preis bezahlt.
Unseren Bericht beeinflusst, hat dies nicht.
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