Tag für Tag gehen, einfach nur draußen sein, einen Sternenhimmel beobachten, wie man ihn nur ganz weit draußen in der Natur sieht und den Gedanken nachhängen – so sieht für mich mittlerweile der perfekte Urlaub aus. In Korsika hab ich mich genau auf das eingelassen, und noch mehr bekommen, als ich erwartet habe. Zu fünft haben wir uns den GR20 vorgenommen, jeder mit anderen Erwartungen.
Gehen befreit. So habe ich es mir zumindest gedacht, als ich mich auf die Tour auf Korsika vorbereitet habe. Ich wusste, dass die Wanderung nicht einfach wird, dass ich vielleicht meine Grenzen testen oder gar an sie stoßen werde. Aber genau das wollte ich in diesem Jahr, ein Jahr mit Höhen und Tiefen wie die Berge selbst. Ich wollte viel entscheiden, vieles überdenken, viel weiterbringen in meinem Leben, meine Grenzen neu stecken. Und manchmal auch einfach an nichts denken. Nur konzentriert gehen.
Tag 1: Eingehen.
Wir lernen uns und das Wandern in Korsika kennen
Die erste Gite d’etape in Calenzana holt uns langsam aus unserer Komfortzone ab. Stockbetten mit Plastiküberzug, alles auf das nötigste beschränkt, so wie es sich beim Wandern gehört. Und sogar mit einem kleinen letzten Luxus: Eine warme Dusche am Morgen. Beim ersten, noch recht einfachen Aufstieg überholen uns schon die Trailrunner, denen wir in den nächsten Tagen immer wieder begegnen werden. Auf einem kleinen Aussichtspunkt haben wir das erste Mal das Panorama, das uns nun täglich begleiten wird: rotbraune und graue Berge, blauer Himmel und das tiefblaue Meer erstrecken sich vor uns.
Folgt man dem gut ausgeschilderten Weg, erreicht man recht bald eine erste Seilversicherung, die jedoch eigentlich recht harmlos ist, wenn man nicht ein paar Kilo mehr am Rücken hat. Wir meistern die erste Hürde alle recht gut und erreichen nach einem steilen Aufstiegsstück unseren Panorama- und Mittagsrastplatz. Ausblick und geteilte Brotzeit machen die Mittagspause zum Festmahl. Die Wolken werden mittags dichter und so ziehen wir in steilen Serpentinen weiter den Berg hinauf.
Oben im Wolkennebel wärmen wir uns kurz die Finger mit frischem Thymiantee und Kaffee – der mitgebrachte Kocher macht es möglich. Unsere erste Hütte erreichen wir nach 1360 Höhenmetern und 11 Kilometern, für den Anfang ein guter Einstieg und die erste Übung für das, was noch auf uns zukommen wird.
Die Refuge d’Ortu di u Piobbu liegt auf 1560 m, der kalte Wind lässt die meisten von uns gegen das Zelt entscheiden. Die Hütte selbst scheint auch noch nicht ganz übersät von Bettwanzen zu sein (Bettwanzen sind eine der unangenehmeren Seiten der GR20-Tour). Ein spartanisches Lager, vollbelegt, Plumpsklos und eine kühle Nacht warten auf uns.
Davor ist aber noch ein schöner Sonnenuntergang und ein mit Sternen übersäter Himmel zu sehen, begleitet von bestem Essen. Serviert wird wie in Korsika üblich, ein 3-Gänge-Menü mit Suppe, Nudeln und Kekse/Kuchen als Nachspeise. Das Refuge ist eine der 23 Hütten des GR20, die im nächsten Jahr renoviert wird, weshalb uns dort oben Baulärm und osteuropäische Bauarbeiter empfangen, die nun ihre Zeit dort verbringen, um eine neue Hütte zu bauen.
Der Rucksack drückt mir in den Rücken. Ich bin es nicht mehr gewöhnt, mehr dabei zu haben als für eine Drei-Tages-Tour. Das Gehen mit 10 Kilo ist anstrengender, aber ich weiß, dass man sich auch daran wieder gewöhnt. Die erste Seilversicherung wartet auf mich. Ich zweifle kurz an meiner Entscheidung – war der GR20 doch etwas zu weit gegriffen?
Aber ich zögere nur kurz. Meine Gedanken schweifen schon am ersten Tag in die Ferne. Ich realisiere, was für ein gutes Gefühl es ist, hier zu sein, in den Bergen, am Meer, beim Gehen, das Handy aus, keine Arbeit in der Nähe. Ich freue mich aufs Spartanische und schaue mir die holzgetäfelte Hütte an, den kahlen Innenraum, genieße das warme Essen und belausche die französischen Gespräche.
Gemeinsam mit Fremden am Tisch, fast schon familiär, doch keiner erwartet mehr von mir.
Tag 2 – Langes Gehen.
Wir gewöhnen uns an die Entfernungen.
Unser nächster Tag beginnt sehr früh – die meisten Bergsteiger machen sich um 5 schon ans Aufstehen und Packen – vielleicht wussten sie, wie lange die Strecke wirklich dauern wird. Hinter der Hütte geht es weiter entlang über teils rutschige Felsplatten, die bei Nässe eher schwer zu begehen sind. Wir sind froh, dass die Sonne alles getrocknet hat und schlängeln uns mit ein paar kleinen Klettereien wieder in die Höhe.
Die Markierung wird in den dichten Felsblöcken nicht immer ganz sichtbar, weshalb wir immer wieder genauer nach dem Weg schauen müssen. Sollte nach fünf Minuten noch keine Markierung in Sicht sein, muss man sich wieder zur letzten Markierung zurückschlagen. Wir müssen uns oft sehr konzentrieren, die Tritte müssen sitzen, da es immer wieder steile Passagen runter und rauf geht. Der Blick, der sich uns inmitten der korsischen Berge eröffnet, ist wieder einmalig. Ringsum Berge und Meer, jede Kurve im Weg eröffnet neue Ausblicke. Trotz allem ist die Strecke nicht zu unterschätzen.
Zu früh lockt uns der gute Ausblick und wir machen große Mittagspause – zu früh deshalb, weil wir kurzfristig dachten, wir wären schon viel weiter. Wir genießen den Ausblick auf die kahle Berglandschaft – ganz anders als man es gewöhnt ist, leuchten die Berge hier intensiv rotbraun. Einige Eidechsen schauen bei unserem Mittagessen vorbei.
Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, deshalb schlängeln wir uns auf interessanten und schönen Wegen (Konzentration!) weiter Richtung Bocca innuminata (1865). Von diesem Sattel, an dem sich die Wolken brechen, ist es nicht mehr allzu weit bis zur nächsten Hütte. Ein steiler Weg nach unten geht in die Knie, wir müssen bis auf 1270 Meter absteigen.
Eine kleine Quelle hat noch mal kaltes Wasser für uns über – bis irgendwann die Hütte in unser Blickfeld kommt. Endlich. Wir sind müde von der vielen Konzentration.
Aber: Die Refuge de Carozzu ist für Übernachtungen gesperrt, es gibt zu viele Bettwanzen. Man hat die Wahl: ein aufgebautes und angenässtes Leihzelt oder doch das eigens mitgebrachte Zelt aufbauen. Wir entscheiden uns für beides – ein Teil der Gruppe nimmt das Leihzelt, der andere Teil das eigene. Die Hütte ist eher kühl und noch spartanischer eingerichtet, aber die Sanitäranlagen sind bereits renoviert. Hier bringt ein Fließband, das man mit einem Pedal antreibt, Toiletteninhalte in die Erde, ganz ökologisch abbaubar und mit weniger Gestank als im herkömmlichen Plumpsklo.
Essen gibt es wie üblich in drei Gängen, diesmal aber nur mit Keksen und klebrigem Apfelmus zum Abschluss.
Der Weg war lang. Ich bin froh, meinen Rucksack mal wieder für längere Zeit abzustellen. Und ich freue mich auf die Übernachtung im Zelt. Irgendwie fühlt sich das noch besser an. Aber zu allererst eine eiskalte Dusche. Erst die Zehen, dann langsam der Rest. Luft anhalten und los. Ist die erste Schrecksekunde überstanden, dann kommt man mit der Kälte ganz gut klar.
Und das Gefühl danach? Warm. Auch das gehört zur Entspannung – jedenfalls bei mir. Für andere wohl eher eine Qual. Ich komme lächelnd aus dem Waschraum und sehe, wie alle anderen mit ihren Zelten beschäftigt sind. Ansprüche runterschraubend, zurück zu den Wurzeln.
Tag 3: Weitergehen.
Viele Gänge führen zum Abendessen.
Am nächsten Morgen wartet ein weiteres Highlight der Tour: Wir wandern eine lange Strecke nach oben um danach nach Haut Asco abzusteigen – eine wunderschöne Tour mit Blick auf den Monte Cinto, das höchste Ziel unserer Tour auf Korsika.
Die Refuge de Carozzu liegt direkt an einer wunderschönen Badegumpe – wir nehmen aber doch lieber die Hängebrücke oben drüber und bestreiten die erste anstrengende Wegstrecke für diesen Tag. Wir müssen über einige Seilversicherungen an glatten Felspassagen weiter nach oben. Hinter uns erstreckt sich wieder ein wunderbarer Blick ins Tal und natürlich aufs Meer. Aber auch hier gilt: Bei Nässe ist die Strecke sehr schwer machbar, oder aber nur mit sehr vorsichtigen Schritten.
Die Felsformationen, die wir passieren, sind für uns recht neu und wir bleiben immer wieder staunend stehen. Nach einigen anstrengenden Kraxeleien – Kondition und Technik sind hier stetig gefordert – kommen wir an einer Aussichtsplattform an, die sich für eine kleine Stärkung und fürs Ausblickgenießen Richtung Meer wunderbar eignet.
Kurz dahinter liegt ein See, der ausdrücklich nicht fürs Baden geeignet ist, da er unter Naturschutz steht. Wir steigen weiter nach oben und klettern über einen steilen Kamin und weiteren Serpentinen zu unserem nächsten Zwischengipfel, den wir umrunden. Kaum kommen wir dort an, blicken wir auf unser morgiges Ziel: den Monte Cinto.
Einige Kletterstellen sind mit dem großen Rucksack etwas beschwerlich, aber trotzdem sorgt der Anspruch weiterhin für gute Abwechslung. Das Bergpanorama lädt zum Verweilen ein, wir gehen noch ein Stück und machen mit vielen anderen Wanderern, die wir von unserer bisherigen Strecke schon kennen, Mittagspause und bereiten uns auf einen anstrengenden Abstieg vor.
Denn: die Höhenmeter (heute eigentlich nur 800 m) gehen in die Knie, Stöcke kann man hier selten brauchen, die Hände dafür umso mehr. Nach der ausgedehnten Pause geht es Richtung Haut Asco – für einen Teil der Gruppe ein großes Ziel, da dort die Luxus-Hotel-Variante gebucht wurde. Normalerweise kann man hier auch in einem Gite d’étape übernachten und bekommt ebenfalls ein wunderbares Abendessen mit Wein.
Wir sitzen an einem großen Tisch. Tagsüber hat unsere Gruppe einer Französin geholfen, die sich mit der Strecke etwas übernommen hat. Sie bricht die Tour am Abend ab, weil sie weiß, dass es weiter kaum Sinn hat. Trotzdem ist sie glücklich, was sie geschafft hat.
Das kann sie sein, ich kann sie irgendwie verstehen. Im Gespräch mit ihr wird mir klar, dass wir alle hier sind, um etwas zu schaffen, um von unserem Alltag wegzukommen und um unsere Grenzen kennenzulernen. Das Gespräch ist lang und voller Herzlichkeit, ich freue mich, dass mein Französisch dafür noch reicht und dass sie so viel von sich erzählt.
Ich bin müde, trinke noch ein Glas Wein und weiß, dass morgen ein großes Stück auf mich wartet. Ich bin gespannt, wie es gehen wird.
Tag 4: Bergauf.
An den eigenen Grenzen gehen.
Wir müssen früh los – der längste und anstrengendste Teil der Tour wartet auf uns. Einige Wanderer haben sich bereits mit Stirnlampen auf den Weg gemacht. Wir folgen um 7 Uhr in das Morgengrauen und sind erstmal noch sehr leise. Die nächsten Trailrunner überholen uns – die Strecke ist beliebt und auch viele, die heute erst mit dem GR20 anfangen, sind auf Tour.
Über einen kleinen Bach geht es im Schatten des höchsten Berges Korsikas nach oben. Viele kleine und größere Kletterstellen sind zu überwinden – auch hier ist Wandern mit Stöcken kaum möglich, da fast durchgängig die Hände gebraucht werden und darüberhinaus kaum Terrain für das Benutzen der Stöcke vorhanden ist. Man kommt dem gelb getupften und sonst rotbraunen Berg näher, es ist kalt, man wandert nur langsam der Sonne entgegen. Der Aufstieg ist anstrengend und zieht sich. Die letzten Tage stecken in den Beinen und auch die Höhenmeter der heutigen Tour müssen überwunden werden (1200 hm Aufstieg und zusätzlich 1200 hm Abstieg!).
Irgendwann erreichen wir den Sattel und damit auch die wärmende Sonne. Eine Pause ist nötig, wir genießen die Wärme wie viele andere, die auf der Strecke unterwegs sind. Will man dem GR20 weiter folgen, kann man den Monte Cinto auslassen, oder aber hier auf dem Sattel sein Gepäck lassen und einen kurzen Abstecher zum Berg machen. Hier muss man aber gut mit der Zeit planen, da der Aufstieg noch mindestens eine Stunde benötigt – die Kletterpassagen machen den Abstieg nicht unbedingt schneller.
Da wir am Monte Cinto den GR20 verlassen, müssen wir unser Gepäck weiter mitnehmen und die teils schwierigen Kletterpassagen mit Rucksack überwinden. Hier ist höchste Konzentration und Orientierung gefragt – der Weg ist nicht immer ganz eindeutig zu erkennen, Markierungen sind aber weiterhin durchgehend vorhanden.
Viele Umrundungen der Zwischengipfel später kommen wir am Plateau des Monte Cinto (2706 m) an – hier stellen wir unsere Rucksäcke ab und nehmen die letzten Höhenmeter mit Anlauf. Der Ausblick und das großartige Wetter belohnen unsere Strapazen. Gipfelschokolade und eine ausgiebige Pause am Gipfel, müssen sein. Dazu haben wir die Aussicht ganz für uns, da es schon 15 Uhr ist und alle anderen noch weiter zur ihrem Refuge müssen.
Eine weitere Herausforderung des langen Tages liegt nun noch vor uns: Der Abstieg zur Refuge de l’Ercu. Der alternative Abstieg, der unterhalb des Monte Cinto beginnt und gelb markiert ist, ist schwerer zu finden, da sich einige Wegabschnitte durch Verschütten verändert haben. Einige Steinmännchen markieren die Wegrichtung. Aber auch hier ist weiterhin volle Konzentration und Orientierungssinn gefragt. Der Abstieg ist weiter mit Klettereien und hohen Trittstufen verbunden, aber immer mit Blick auf das Ziel des Abends – die unbewirtschaftete Hütte im Tal hinter Lozzi.
Spät am Tag (gegen 18.00 Uhr) erreichen wir die Refuge de l’Ercu. Dort wurde ein Matratzenlager eingerichtet, aber auch hier sind die Bettwanzen mit bloßem Auge zu sehen. Deshalb wird ein weiteres Mal Zeltaufbauen nötig, bei dem Blick ins Tal mit den umrahmenden Bergen aber auch die viel bessere Lösung. Auch hier gibt es bestes frisches Trinkwasser und eine kleine Küche, in der wir unser mitgebrachtes Travel-Lunch kochen können – diesmal bei romantischem Kerzenschein und fast alleine (nur ein mutiges Pärchen schläft bei den Bettwanzen). Gegen 20.00 Uhr und unter einem klaren Sternenhimmel endet unser Tag – wir sind alle müde und geschafft von unserer Tour.
Die erste Stunde des Aufstiegs muss ich mich sammeln, ich bin müde, habe das Gefühl, dass ich dieser Tour nicht gewachsen bin. Zweifel tauchen auf. Aber ich will noch nicht aufgeben. Es ist noch sehr früh, meine Glieder sind noch lahm. Nach den Zweifeln folgt stundenlanges Nichtsdenken, nur konzentrieren, den nächsten Schritt planen.
Oben angekommen wächst ein Gefühl der Freude, die ich so noch nicht kannte. Ich habe es tatsächlich geschafft, alles mit meinen eigenen Beinen. Ein tolles Gefühl. Die Füße brennen beim Abstieg. An der Hütte angekommen bin ich einfach nur glücklich. Ich weiß, was ich schaffe. Ich habe nicht aufgegeben. Abends stehe ich noch lange vor dem Zelt und starre in diesen von Sternen übersäten blauen Nachthimmel.
Ich bin müde. So richtig müde. Eine ehrliche Müdigkeit, sie kommt von ganz tief drinnen.
Tag 5: Zu Ende gehen.
Schon alles vorbei?
Die Sonne weckt uns im Zelt. 12 Stunden haben wir geschlafen und der Morgen ist langsam. Wir blinzeln zufrieden ins Licht und freuen uns auf etwas Warmes zu trinken. Ein langer zweistündiger Fußmarsch auf breiten Wegen und ohne große Steigung führt uns an diesem Tag nach Lozzi. Wir kommen an Obstbäumen und urigen Häusern vorbei und lassen uns Zeit – nach der langen Route des Vortags genießen wir ein bisschen das Dorfleben, die Zivilisation.
Ein ausgedehntes Mittagessen mit Blick auf die großen Rallye de Corse Sportwagen-Oldtimer stärkt uns – doch dann will man auch recht schnell wieder aus der Zivilsation in die Einsamkeit der Berge zurück. Neuausgestattet mit Essensvorräten passieren wir den Stausee und nehmen dahinter unseren letzten Aufstieg (900 hm) in Angriff.
Die Hitze macht uns etwas zu schaffen, der Anstieg wird noch etwas steiler und führt dann durch den Wald auf eine weitere große Aussichtsplattfom und zugleich unserem letzten höchsten Punkt. Wir blicken zurück auf den Monte Cinto, auf den Stausee und beobachten Wildpferde in einer dürren Landschaft. Durch einen Wald geht es langsam abwärts zur Refuge de la Sega – eine Hütte mitten im Wald, die auch von Schulklassen häufiger besucht wird.
Die Hütte selbst ist nicht sehr urig, eher trostlos warten die Zimmer auf ihre Renovierung. Die Holzhütte zum Essen ist dagegen aber bestens ausgestattet und erinnert an eine gemütliche Berghütte. Bestes Essen und ein Kachelofen versöhnen uns mit der Anlage. Ein Teil der Gruppe schläft wieder im Zelt, ein anderer Teil probiert es mit den wenigen Zimmern, die noch Bettwanzen-frei scheinen. Die Hütte liegt außerdem wieder an einer großen Badegumpe – am Abend ist es jedoch schon zu kalt, sich nochmal in das kalte Wasser zu wagen.
Ich bin melancholisch. Schon der letzte Aufstieg? Jetzt nur noch Abstieg? Schade. Den Rucksack hab ich ganz vergessen. Meine schmerzenden Füße auch. Oder schmerzen sie gar nicht mehr? Ich genieße die Natur, den Ausblick und freue mich keineswegs auf die Zivilisation.
Mein Handy ist seit Tagen aus und das ist auch gut so. In mir wächst die Freude auf das nächste Mal. Aber noch will ich auch die letzten Strecke weiter genießen. Die Sonne wärmt mich, ich fühle mich wohl. Wandern befreit mich und führt mich zurück dahin, wo es nur wenig gibt. Und das ist gut so.
Ich schau mir nochmal den Sternenhimmel an und wünsche mich nicht mehr weg.
Tag 6: Etwas geschafft haben.
Geht doch!
Der letzte Tag unserer Wanderung führt uns nach Corte. Ans Meer und zurück in die Zivilisation. Der Weg dorthin ist ein würdiger Abschluss: Durch den Wald passieren wir immer wieder schöne einladende Badegumpen. Aber vor allem der Ausblick ins Tal Richtung Corte und die canyonartigen Formationen der Felsen sind eine Augenweide.
Der Weg selbst ist kaum noch anstrengend, uns kommen auch immer mehr Tagestouristen entgegen, die weniger für großes Bergsteigen ausgerüstet sind. An einem kleinen Wasserfall machen wir eine letzte Pause und reduzieren unsere Vorräte. Ein eiskaltes Fußbad lässt die Füße noch einmal aufleben, denn die Strecke nach Corte wird zunehmend heißer und lässt die Fußsohlen brennen.
In der Stadt angekommen, freuen wir uns mit spontanen Umarmungen nach einer langen Strecke. Nach rund 50 km und und fast 6.000 Höhenmetern sind wir angekommen und stolz auf uns. Am Campingplatz in Corte belohnen wir uns mit einem Sprung in die eiskalte Badegumpe. Die Sinne kehren zurück. Wir haben es geschafft.
Wir sind angekommen. Ich freue mich. Kann es kaum glauben. Ich bin jetzt trainiert, kann gut und gerne Wege gehen, auf denen steht „nur für Geübte“. Mit der Zeit lernt man so viel. Ich habe gelernt, wo ich aufpassen muss, wie weit ich gehen kann. Füße tragen einen weit, und man kommt mit so wenig aus.
Ich fühle mich frei. Freier als in der großen Stadt.
Ich weiß jetzt: Schwierige Wege kann man zwar gehen, aber anders als leichte, man muss sich darauf einlassen, aber auch darauf hören, wenn es nicht weiter geht. Anhalten. Innehalten. Nicht nur am Berg, sonder auch im Leben. Viele fragen sich: warum macht man sowas?
Die Antwort ist sehr individuell. Ich mach es, um frei zu sein. Um mich kennenzulernen. Und um zu gehen. Einfach mal nur zu gehen.
Infos:
Alles was man zum GR20 wissen muss, findet Ihr in unserem GR20 Fragen & Antworten-Artikel ;-)
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Der GR20 ist wirklich immer noch ein Traumweg. Danke für die vielen vielen Bilder. Meine Wunschliste an Wanderwegen wächst dieser Tage in unermessliche. Hoffentlich bringt das Christkind mir viele freie Tage!